Aletschhornüberschreitung
August 2004


Die Beteiligten
      
Harald                                            Stefan         Annegret




Nach der halbwegs geglückten skialpinistischen Haute Route Unternehmung im März will man im Heidelberger Kreis den Sommer nicht ohne Viertausendertour zu Ende gehen lassen.  So einiges wird aufgeworfen:  Piz Bernina über Bianco Grat.  Dom über Festi-Grat.  Bietsch- und Aletschhorn in einem Ratsch.  Letztere Option, allerdings ohne Bietschhorn erhält den Zuschlag, denn was liegt näher als der verdeckte Namenspatron des Aletschgebietes?  "Ein kalter Berg, auf den es keinen eigentlich leichten Anstieg gibt" (Berner Alpen Führer von Werner Munter) sollte geeignet sein für vertikal orientierte Heißsporne, die sich schon an so bedeutenden Viertausender wie dem Breit- und dem Bishorn versucht haben.

Aber, oh weh, das Unterfangen steht unter keinem guten Stern:  Pik Lenin Bezwinger und Tischkletterkönig Holger N. wird ein völlig harmlos wirkender Teppich in der Heidelberger Wohnung der Frischvermählten zum Verhängnis; ausgerutscht beim Kurvekratzen. Dr. Braun diagnostiziert: Kapseldehnung.  Schiene und aus der Traum mit Klettern bis zum Jahresende.  SMS Originaltext: Finger kaputt Aletsch ohne mich.  Fortan wird das Rüstzeug des tüchtigen Alpinisten um die Disziplin "Sicheres um die Kurve Gehen auf Teppich" erweitert.

Doch die verbleibenden drei Aspiranten lassen sich auch von solchen Omen nicht schrecken und an einem schönen Samstagvormittag werden in Blatten bei Naters frohgemut die Schöße hochgebunden, der Helm auf den Rucksack geschnallt und die Mütze aufgesetzt.
Da man über Seilbahnverdächte längst erhaben ist, geht es mit rascher Steiggeschwindigkeit hinauf nach Belalp, von wo der Zustieg zur Oberaletschhütte beginnt.  Zunächst über beschauliche Almpfade, dann an einer Reißleine hinab auf die Moräne des unteren Oberaletschgletschers steuern die Protagonisten stieren Blickes ihrem Tagesziel entgegen.  Die gute Markierung des Weges macht die Überquerung des Gletscherchaoses einigermaßen problemlos.  Ansonsten würden plaisirgewöhnte Geröllgänger eher ratlos in die Runde schauen.



Gut daß man bald da ist.  Noch schnell ein paar Leitern hinaufgeklettert, einige Felsbänder gequert und schon flattern die unvermeidlichen tibetischen Gebetsfahnen in voller Pracht vor der Hütte.
Das Abendessen schmeckt vorzüglich, großes Lob an die Hüttenwirtin und ihren Helferinnentroß.

Für den folgenden Tag ist Akklimatisierungsprogramm angesagt.  Selten besuchte Berge auf der anderen Talseite sind im Gespräch: das Wysshorn ist ein heißer Kandidat, WS soll der Aufstieg sein.  Die Crux offenbart sich jedoch erst beim genaueren Studieren des Kleingedruckten.  Da wo beim Zustieg zur Oberaletschütte alles feinsäuberlich durchgenagelt ist, finden sich auf der anderen Talseite lediglich 14 Bohrhaken in den glattpolierten Gletscherplatten: S-.  Nichts für Plaisiralpinisten.
Daraufhin greift man auf das näherliegende Fußhorn zurück.  Eine Vormittagstour soll es werden, denn an einem solchen Tag soll auch noch Platz für einen Mittagsschlaf sein.  Skeptisch ob der Anstiegsbeschreibung entschließt sich Annegret zu einem Ruhetag, während die beiden übrigen Gruppenmitglieder es gerade noch bis zum Abendessen zurückschaffen.  Mit dem Gipfel wurde es nichts, aber dafür wurde versehentlich ein neuer, noch nicht vollständig eingerichteter Klettersteig
begangen, der einmal der neue Hüttenzustieg sein soll.  Annegret macht derweilen aufregende Photos vom Objekt der Begierde, während das hütteneigene Babykätzchen auf dem im Inneren ordnungswidrig abgestellten Rucksack eine bleibende Duftmarke hinterläßt.



Am folgenden Morgen heißt es um zwei Uhr aufstehen und ein komplettes Frühstücksbuffet verdauen, einschließlich Müesli und hartgekochtem Ei.  Auf diesem Abschnitt arbeiten sich die beiden anderen Seilschaften mit dem gleichen Tagesziel einige Minuten Vorsprung heraus, aber, wie man weiß, Kalorien und Kohlenhydrate stärken vor allem den langen Atem.

Als nächstes schlaftrunken die Leitern hinuntereiern; auch das geht gut.  Nun zunächst den blauen Dosen auf Stangen folgen, Annegret sieht sie glücklicherweise auch im Dunkeln.  Dann auf die Mittelmoräne hinauf und Steinmänner  suchen.  Das ist wie Eiersuchen an Ostern, nur daß man mitten in der Nacht nicht so weit sieht.  Reflektoren weisen den Übergang vom schuttbedeckten Gletscher auf die Südwestrippe, wo wir die beiden anderen Seilschaften wieder treffen.  Nun wirkt das Müesli und mit frischem Schwung wird die Spitze des Feldes erobert.  Über große, feste Blöcke geht es aufwärts.  Auch hier geht die Steinmannsuche weiter, gestaltet sich aber im großen und ganzen problemlos.  Vor dem Erreichen des Gletschers tagt es.
Also Steigeisen anziehen vor dramatischer Schrundkulisse, Seil raus und los. Spalten hat es zur Genüge.  In einem Bogen nach rechts erreicht man den Fuß einer weiteren Felsrippe.

Diese ersteigt man problemlos, worauf ein paar Meter Blankeis zu überqueren sind, um wieder ein Geröllfeld zu gewinnen. Irgendwann, ab ca. 3900 m, wird es immer steiler und die Sicherungsstangen beginnen.  Also wieder Seil raus und gleichzeitig am Seil weiter nach oben.
Überschwenglicher Eifer bringt einen Vorsteiger für kurze Zeit vom rechten Weg ab: es wird ein erzbrüchiger Kamin zu weit links erstiegen und an dessen Ende ein Stand eingerichtet.  Da ein Unglück selten allein kommt, zieht in diesem Moment auch noch Nebel herein und macht vorläufig Schluß mit der vorher passablen Fernsicht.
Doch auch solche Umstände vermögen den Gipfelsieg nicht mehr zu vereiteln.  Raschen Schrittes geht es höher und höher, alle Felsen sind schneefrei und kaum schwerer als der zweite Grad.  Dank der Stangen reinster Plaisir. Da nur zwei weitere Seilschaften unterwegs sind, herrscht Staufreiheit.
Um zehn Uhr ist es geschafft. 4195m, der Gipfel ist erreicht.  Freundlicherweise haben auch die Wolken ein Einsehen und reissen gelegentlich auf.  So bieten sich spektakuläre Blicke auf Weißhorn, Jungfrau, Mönch und Finsteraarhorn.
Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Viertausendern steht man auf dem Gipfel des Aletschhorns auf einem reichlich bemessenen Gipfelplateau. Auch der Wind hat nachgelassen, so dass sich eine Vesperpause überaus anbietet.

Die beiden anderen Seilschaften folgen der goldenen Alpinregel: hinunter wie hinauf. Wir aber wollen über den nach Nordosten ziehenden Grat zum Vorgipfel und weiter zum Aletschjoch gehen. Ein auch am Gipfel angekommener, gestandener alemannischer Alpinist macht uns Mut: "Reines Firngestapfe. Gar kein Problem". Auch im Führer liest man lapidar etwa so: "Dann über einen scharfen Grat zum Gipfel". 

Natürlich ist dieser Grat - wie eigentlich immer - mal wieder viel schärfer als vermutet. Also sichern. Nach zwei "Seillängen" über Felsen gelangt man auf nicht besonders schneidigen Firn.







Über diesen hinab zum nächsten Felsabschnitt.









Zwischendurch ein Blick hinab nach Nordosten zum Oberaletschgletscher und der Hütte links oberhalb des Gletscherzusammenflusses ...











...  und geradeaus zu einem ernsthaften Konkurrenten der Walliser Cima di Jazzi, der Äbenifluh.








Die folgende Felspartie bietet die im Verhältnis anspruchsvollste Kletterei am Grat.









Dann gemütliches Stapfen in prächtiger Kulisse.



Was dann geschah: Zu viel Streß zum Fotographieren. Zunächst ein scharfer Firngrat, der in Felsen und einer Steilwand endet. Diese sind wir nach Norden im Firn abgestiegen. Dann ein weites Firnplateau, auf dem sich entgegen der Landeskarte einige Spalten tummeln. Es folgt der Übergang zum Aletschjoch. Zunächst eine schon ziemlich aufgeweichte Firnschneide mit Wächte links (Absturzmöglichkeit zur Hollandiahütte), dann brüchiger Fels. Hier zieht von links die Hasslerrippe herauf, die insgesamt wenig anziehend aussieht. Abschließend etwas Eis und schließlich wieder Matschfirn bis zum Aletschjoch. Hier beginnt es ordentlich zunächst zu schneinen, dann zu regnen - in Übereinstimmung mit der Wettervorhersage.


Nun über zunächst steilere, dann immer flachere Gletscherhänge abwärts. Zwischendurch noch mit einem Bein in eine Spalte eingebrochen. Irgendwann auf Fels - Achtung, der Wasserfall im Süden läßt sich nicht überqueren (ein Teilnehmer hat dies erkundet und war kurz davor die Rega zu rufen) - und hinunter auf den firnbedeckten Talboden. Nun ist das Biwak so gut wie erreicht.




Die letzten Meter legen wir gemeinsam mit zwei polnischen Bergsteigern zurück, die heute Früh vom Biwak zum Gipfel aufgebrochen waren.







Bemerkenswert auch die Mittelaletschtoilette.



Alles, aber wirklich alles ist naß. Einzig Harald hat durch geschickten Mülltüteneinsatz einige Bereiche innerhalb seines Rucksacks von der Feuchtigkeit fernhalten können und erfreut sich nun wohlig der Trockenheit der Ersatzreizwäsche. Nun werden Speckschwarten und Almkäse ausgepackt und ein karges Abendmahl verzehrt. Nach fast sechzehn Stunden auf den Beinen in der Tat wohlverdient. Gegen später, bei Nacht und Nebel, stellen sich noch zwei Berliner im Biwak ein, deren Plan es ist, am nächsten Tag das Aletschhorn zu besteigen.
Das Einschlafen fällt trotz der Ermattung nicht leicht, man muß erst eine ganze Weile unter den Wolldecken zittern, bis sich in den nassen Klamotten die nötige Wärme einstellt. Der mühsam errungene Schlaf wird gegen vier Uhr morgens unsanft durch lautstarkes Gezänk der Berliner unterbrochen, ob man nun einen Gipfelversuch wagen solle oder nicht: "Eih Mann, ick bin müde, ick bin naß, ick hab nich jeschlafen ...". Draußen regnets in Strömen, die Wolken hängen bis auf den Boden, der Wetterbericht verheißt keine Besserung für die nächsten Tage. Den Ausgang des Streits verschlafen wir, aber als wir um neun Uhr vom Biwak aufbrechen, ratzen die beiden noch in ihren Kojen.

Unser Ziel heute heißt Bettmeralp, laut Führer handelt es sich um einen 5-6 stündigen Marsch. Es regnet immer noch und die Wolken hängen tief. Kurz nach dem Aufbruch vom Mittelaletschbiwak gibt's ein bißchen Spaltenhopsen zum Aufwärmen.                                                        
Um vom oberen Teil des Gletschers zum unteren zu gelangen, muß man durch eine steile Schuttrinne, die wir schon fürchten, seit wir im Führer von ihr gelesen haben. Aufgrund des dauernden Regens haben sich die angekündigten 'Pfadspuren' in eine Rutschbahn aus Schlamm und Steinen verwandelt, trotzdem ist dieser Teil ausnahmsweise nicht ganz so schlimm wie erwartet.
                                                               






Mittelaletschgletscher und Großer Aletschgletscher sind nicht mehr miteinander verbunden, daher können wir ein kurzes Stück des Weges auf erholsamen Wiesenpfaden zurücklegen, bevor wir eine Stunde lang über die aperen Eiswulste des Großen Aletschgletschers krabbeln müssen.



  




Nach Überwindung von weiteren 150 Höhenmetern in Form eines steilen Grashanges erreichen wir endlich den rettenden Wanderweg.



Ein matter Blick zurück über den Großen Aletschgletscher ins Mittelaletschtal ...








      ... dann vorbei an finsteren Gesellen am Wegesrand ...







... nix wie rein in die erste
Wirtschaft in Bettmeralp,

und weiter zu einem Nicker-
chen am Bahnhof  in Mörel ...